Die Geschichte der
Straßenbahnlinie 8
Erst mit der Einführung von
Ziffernsignalen in Wien im Jahre 1907 kann vom "8er" gesprochen
werden. Jahrzehntelang verkehrte er auf nahezu unveränderte Strecke
zwischen Liechtenwerder Platz und Meidling.
Die Besonderheit an dieser Linie war der Parallelverkehr mit der
Stadtbahn am
Westgürtel. Der
Parallelverkehr sollte dann der Grund für deren Einstellung sein.
Der Streckenverlauf [Eichenstraße - Dörfelstraße - Murlingengasse - Hoffmanngasse, =
Schleife] - Eichenstraße - Meidlinger Hauptstraße -
Ullmannstraße - Sechshauser Straße - Mariahilfer Gürtel -
Europaplatz - Neubaugürtel - Lerchenfelder Gürtel - Hernalser Gürtel
- Währinger Gürtel - [Heiligenstädter Straße - Glatzgasse -
Währinger Gürtel, = Schleife]
Der 8er verfügte am Gürtel über eine eigene Trasse. Eine ideale
Voraussetzung im modernen städtischen Verkehr. Mit der Errichtung
von Ampelanlagen entlang des Gürtels und der nicht vorhanden
Ampelbeeinflussung durch öffentliche Verkehrsmittel wurde die Straßenbahn leider an den Kreuzungen
mehr und mehr behindert, was die Durchschnittsgeschwindigkeit stark nach unten drückte.
Der "8er" auf neuen Wegen
-
Infolge des Neubaus der Stadtbahnstation
Meidling Hauptstraße wurde 1968 die Straßenbahn in der Meidlinger
Hauptstraße am nördlichen Ende in die Theresienbadgasse verlegt.
-
Weiters wurde in diesem Jahr die Strecke
zwischen Mariahilfer Straße und Sechshauser Straße auf dem
Mariahilfer Gürtel von der West- auf die Ostseite verlegt.
-
Im Jahre 1970 wurde die Strecke der
Linie 8 zwischen Gürtel und Stiegergasse von der Sechshauser Straße
in die Ullmannstraße verlegt. Damit wurde der Straßenzug auf seiner
gesamten Länge befahren. Gleichzeitig war dies die letzte
Streckenänderung vor der Stilllegung.
Straßenbahn vs. U-Bahn in Wien
Bis dato wird in Wien vor bzw. bei der Eröffnung einer neuen U-Bahnstrecke
der "parallel" dazu verlaufende Straßenbahnverkehr eingestellt.
Beispiele für nicht parallel geführte Strecken sind die der Linie T
(1984 eingestellt) und der Linie 21 zwischen Schwedenplatz und
Praterstern (der Abschnitt Heinestraße - Mühlfeldgasse wurde 2008
eingestellt, die Strecke wird in betriebsfähigem Zustand gehalten; die
restliche Strecke wird von den Linien 2 und 5 weiterhin befahren).
Auf der Gürtelstrecke der heutigen U6 gab es vor 1989, also bevor die
Stadtbahnlinien G und GD zur U6 wurden, über ein dreiviertel Jahrhundert
Parallelverkehr auf wenigen Meter Entfernung zur Straßenbahnlinie 8.
Die Stadtbahn wurde ab 1925 städtisch, bis 1918 gehörten die Strecken
der Stadtbahn zur k.k. Staatsbahn, dazwischen ruhte der Verkehr.
Durch die Inbetriebnahme
der Stationen Thaliastraße und Michelbeuern-AKH am 27.09.1980
bzw.
31.10.1987 wurden die letzten großen Umsteigeknoten entlang des
Westgürtels mit der Stadtbahn erschlossen. Eine Vorleistung um
die Straßenbahnlinie 8 einstellen zu können.
Ab 1983 wurde an einer Verlängerung der Gürtellinie der
Stadtbahn (Linien G/GD) bis zur Philadelphiabrücke in Meidling gearbeitet, um sie
danach in U6 umzubenennen. Ab diesem Zeitpunkt wäre die Route beider
Verkehrsmittel nach Sicht der Wiener Stadtregierung "identisch" gewesen
und so unwirtschaftlich zu betreiben. Als Konsequenz ist die Straßenbahn
mit der Inbetriebnahme der U6 sofort einzustellen, wie es bei jeder
U-Bahnverlängerung mit "parallel" verkehrenden Straßenbahnlinien der
Fall ist.
Bezirke, die durch die
Straßenbahnlinie erschlossen waren (von Süd nach Nord):
12.
Meidling (78.268
Einwohner, Stand: 2001)
15.
Rudolfsheim-Fünfhaus (64.895
Einwohner, Stand: 2001)
6.
Mariahilf (27.867
Einwohner, Stand: 2001)
7.
Neubau (28.292
Einwohner, Stand: 2001)
16.
Ottakring (86.129
Einwohner, Stand: 2001)
8.
Josefstadt (22.572
Einwohner, Stand: 2001)
17.
Hernals (47.610
Einwohner, Stand: 2001)
9.
Alsergrund (37.816
Einwohner, Stand: 2001)
18.
Währing (44.992
Einwohner, Stand: 2001)
19.
Döbling (64.030
Einwohner, Stand: 2001)
Straßenbahn vs. U-Bahn
- ein Widerspruch?
Das Kostenargument wurde als eines der Hauptgründe
für die Stilllegung genannt. Dagegen sprach bis zuletzt die gute
Auslastung des 8ers, sonst hätte man
diese "unrentable" Parallelführung am Gürtel wohl schon früher aufgegeben.
Zudem sind
beide Verkehrsmittel für unterschiedliche Fahrgastgruppen konzipiert:
Straßenbahn:
Das Verkehrsmittel dient der Feinerschließung, es weist daher kurze
Haltestellenabstände von durchschnittlich 300 bis 400 m auf. Außerdem werden durch die Straßenbahn auch
kleinere Umsteigeknoten erschlossen. Kürzere Zugangs- und Umsteigewege
sind so möglich.
Der durchschnittliche Haltestellenabstand beträgt in Wien
ca. 300 bis 400 m.
Die Straßenbahn ist das
einzige schienengebundene Verkehrsmittel, dass für die Fläche geeignet
ist (wesentlich geringere Bau- und Betriebskosten bei größerer
Flächenerschließung als bei der U-Bahn).
Stadtbahn/U-Bahn:
Hauptaufgabe ist es große Distanzen in möglichst kurzer Zeit
zurückzulegen. Dazu sind viele Haltestellen von Nachteil. Gute 1000 m
Stationsabstand sind hier von Vorteil. Man denke an Betriebskosten für
die Stationen (Strom, Wartung/Sanierung der Stationen, Wachmannschaft,
Videoüberwachung).
Der durchschnittliche Haltestellenabstand beträgt in Wien ca. 700 bis
800 m.
Vergleich Straßenbahn/U-Bahn auf der Strecke
Liechtenwerder Platz - Meidling (Murlingengasse)
|
Straßenbahn |
U-Bahn |
Länge
(km):
|
x |
x |
durchschnittlicher
Stationsabstand (m): |
x |
x |
Anzahl Stationen:
|
26 (1989) |
12 (1989) |
|
|
|
Fahrzeit
(min): |
40 (1989) |
17* (2010) |
Spurweite
(mm): |
1435 |
1435 |
*: Strecke Nußdorfer
Straße - Philadelphiabrücke |
Widerstand gegen die Stilllegung
In der Bevölkerung wurde
die geplante Stilllegung nicht teilnahmslos hingenommen. Der 1985
gegründete "Verein Fahrgast" (externer Link) und einige
Bürgerinitiativen in den Bezirken entlang der Linie 8 nahmen sich dem Thema an.
Argumente für die Beibehaltung der Linie 8 waren deren gute Auslastung,
aber auch die Sinnhaftigkeit zweier Verkehrsmittel mit unterschiedlichem
Fahrgastpotential (s. oben)
Vor allem die Bewohner des 12. und 15.
Bezirks befürchteten eine massive Verschlechterung mit der Versorgung
öffentlicher Verkehrsmittel.
Mit der Inbetriebnahme
der Strecke Gumpendorfer Straße - Philadelphiabrücke der neuen U6, die
aus der Umbenennung
der letzten Stadtbahnlinien G/GD am 07.10.1989 hervorgegangen ist, wurde die
Straßenbahnlinie 8 zur
Mittagszeit während der Feierlichkeiten für die neue U-Bahn eingestellt.
Die Stilllegung und geplante Abtragung der Strecke hatte zuvor den
Verein Fahrgast und Bürgerinitiativen bewogen Unterschriften für eine
Volksbefragung zu sammeln. Die dafür nötige Stimmenanzahl von 56.000
konnte mit 70.000 Unterschriften klar überschritten werden. Der damalige
Bürgermeister von Wien, Dr. Helmut Zilk, erklärte bis zur Abhaltung der
Volksbefragung die Strecke unangetastet zu lassen.
Von 22. bis 24. Februar
1990 fand (stadtteilweise) eine Volksbefragung über die Zukunft der
inzwischen eingestellten Strecke der Straßenbahnlinie 8 statt.
- Frage:
„Sollen wegen der sich bedrohlich
verschlechternden Verkehrs- und Umweltsituation in Wien
stadtteilweise folgende Volksbefragungen durchgeführt
werden?
-
-
6., 7., 8., 9., 12., 15., 16., 17., 18., 19. Bezirk:
Sind Sie dafür, dass die Straßenbahn auf der
Gesamtstrecke der heutigen Linie 8 trotz
Gürtelumgestaltung sowie Verlängerung und Umbenennung
der Stadtbahn in U 6 erhalten bleibt?
-
15. Bezirk: Sind sie dafür, dass die Linie 9 der
Straßenbahn weiter durch die Felberstraße fährt und
nicht einem dort geplanten Straßenausbau für den
Autoverkehr weichen muss?
- 21. Bezirk: Soll der jetzt durch Floridsdorfer
Wohngebiet fahrende Schwerverkehr ohne Straßenneubau auf
den bestehenden Umfahrungsring verlagert werden?
-
15., 16. Bezirk: Soll das 3,3 Hektar große Areal auf
der Schmelz an der Ecke Gablenzgasse/Possingergasse
unverbaut bleiben und als Park öffentlich zugänglich
werden?
-
12. Bezirk: Sollen die Hetzendorfer
Kleingartenareale (Altmannsdorfer Anger, Egelsee,
Strohberggründe, Gaßmannstraße) unverbaut bleiben?
- 13., 23 Bezirk:
-
a) Soll der 4 Hektar große Grünbereich Maurer Lange
Gasse/Kaserngasse von einer Bebauung, auch einer
teilweisen, freigehalten werden und für die Bevölkerung
zugänglich sein?
-
b) Soll das dort befindliche Körnerschlößl als
Schulstandort erhalten sowie als öffentliche
Öko-Projektschule (10 bis 18jährige) und als
öffentliches Kulturzentrum verwendet werden und die
genannten Vorhaben bis zum vorliegen der
Befragungsergebnisse gestoppt werden?
-
Stimmberechtigte: 1.129.808
-
Gültige Stimmen: 68.745
-
Ungültige Stimmen: 286
-
JA: 63.503 (94 %)
-
NEIN: 5.242 (6 %)
|
Das Gesamtergebnis
von 94% Ja-Stimmen lieferte ein eindeutiges Ergebnis - pro Straßenbahn!.
Allerdings betrug die Wahlbeteiligung nur 6 Prozent - die niedrigste
Beteiligung bei allen Wiener Volksbefragungen bis heute (Stand:
2010). Daher war es leicht
von den Verantwortlichen der Stadt, darunter Verkehrsstadtrat Johann Hatzl (SPÖ), die Stilllegung der Strecke nun endgültig zu vollziehen.
Im
Sommer 1990 wurde die Oberleitung abgenommen und die ersten
Gleise herausgerissen.
Das gesamte Diskussion um den 8er hat dann einige Monate später teilweise zu einem
politischen Erdbeben beigetragen. Bei den Landtags- und
Gemeinderatswahlen am 10.11.1991 verlor die SPÖ 7,11%
(Endergebnis: 47,81%) und die Grünen gewannen 4,68% (Endergebnis:
9,08%). Die ÖVP erlitt dramatische Verluste von 10,35% (Endergebnis:
18,05%) während sich die FPÖ auf 22,54% verdoppelte. Der Verlust der
SPÖ ist, neben den damals unaufhörlich erscheinenden Aufstieg der
FPÖ, durch eine verfehlte Verkehrspolitik zurückzuführen, die
wiederum den Grünen in Wien dauerhaft zweistellige Wahlergebnisse
bescherte.
Dass es bei der
Stilllegung von Straßenbahnstrecken und deren "Ersatz" durch
U-Bahnstrecken zumeist kein Konzept bei der Nahversorgung mit
öffentlichen Verkehrsmitteln gibt, zeigen die
nach der Stillllegung der Linie 8
(aufgrund von Anrainerprostesten)
eingerichteten Buslinien, die als U-Bahnzubringer
dienen und deren Streckenverlauf aufgrund ausbleibender Fahrgäste
des Öfteren geändert (gekürzt) wurde.
Auch werden bei
U-Bahnverlängerungen immer wieder Etappen von stillgelegten Straßenbahnlinien durch Buslinien
ersetzt, da einzelne Haltestellenabstände bei der U-Bahn für
bestimmte Personengruppen einfach zu groß sind. Der Vorteil solcher
Linien liegt darin, Gebiete entlang früherer Straßenbahnstrecken neu
zu erschließen. Nachteilig sind hier die allzu "schlangenförmigen"
Streckenverläufe auf kurzen Distanzen und die Kürze dieser Linien,
da sie über die nächste U-Bahnstation meist nicht hinausreichen, was
zum Umsteigen zwingt und den öffentlichen Verkehr unattraktiver
macht.
Kurzgeschichte
über die Linien, die den "8er" ersetzten:
Streckenstück |
Ersatz für die Straßenbahnlinie 8 |
Liechtenwerder Platz - Währinger Gürtel bis Kreuzgasse
Währinger Gürtel ab Kreuzgasse
- Hernalser Gürtel bis Ottakringer Straße |
Dieses
Streckenstück vom 8er ist in Betrieb geblieben. Das
Stück Liechtenwerder Platz - Währinger Gürtel bis
Währinger Straße dient als Betriebsstrecke vom/zum
Betriebsbahnhof Gürtel. Die restliche Strecke wird von der Linie
42 befahren.
Mit 09.10.1989
wurde die neue Buslinie 37A auf der Strecke Ottakringer Straße -
Liechtenwerder Platz - Friedensbrücke eröffnet. Entlang des
Gürtels fuhren die Busse im Individualverkehr mit, während die
eigene Trasse der Straßenbahnlinie 8 brach lag. Dementsprechend
verspätungsanfällig und unattraktiv war der Bus.
Diese Streckenführung währte bis 1992, dann wurde die Buslinie
zur Sternwartestraße am Währinger Gürtel zurückgezogen. Bis 1993
wurde die Buslinie 37A auf der verbliebenen Strecke,
die
vom 8er befahren wurde (Liechtenwerder Platz - Sternwartestraße), gänzlich
zurückgezogen.
1995 kehrte die Buslinie wieder auf das Streckenstück
Liechtenwerder Platz - Sternwartestraße
zurück.
Seit 2001 ist der
37A auf der Strecke
Engerthstraße/Traisengasse
- Dänenstraße unterwegs (Zubringer zur U4
und U6).
Das stillgelegte Streckenstück
Währinger Gürtel ab Kreuzgasse - Hernalser Gürtel bis
Ottakringer Straße wurde in einen Fahrradweg
umfunktioniert.
|
Hernalser Gürtel ab Ottakringer Straße -
Urban-Loritz-Platz |
Ersetzt durch die U6.
Auf der früheren eigenen Trasse gibt es nun einen Fahrradweg. |
Urban-Loritz-Platz -
Europaplatz (Westbahnhof) -
Mariahilfer Gürtel - Gumpendorfer Gürtel bis Ullmannstraße |
Auf dieser Strecke verkehrt heute die U6
bzw. die Straßenbahnlinien 6 und 18. |
Ullmannstraße |
Von 1990 bis 1998 von der
"Bezirkslinie" 9A durchfahren (s. unten). Seither ist das Gebiet
nur mehr von der Buslinie 57A versorgt. In der
Ullmannstraße selbst gibt es keinen öffentlichen Verkehr mehr. |
Theresienbadgasse -
Meidlinger Hauptstraße |
Nach fast einem
Jahr nach der Stilllegung der Linie 8 erhielt der 12. und
15. Bezirk wieder ein Nahverkehrsmittel, die Meidlinger
Hauptstraße wurde von der neuen Buslinie 9A jedoch nicht mehr durchfahren sondern nur
gekreuzt.
1994 wurde der Straßenzug als umgebaute Fußgängerzone eröffnet.
2012 soll diese Fußgängerzone bereits generalsaniert werden.
Die neue Buslinie, zunächst auf der Strecke Philadelphiabrücke -
Mariahilfer Gürtel unterwegs, wurde 1993 bis zum Westbahnhof
verlängert. Nach mehreren Streckenkürzungen und -umlegungen
verkehrt sie seit 1998 nur mehr auf der Strecke
Philadelphiabrücke - Meidling Hauptstraße U. Damit ist der
Bereich rund um diese Einkaufsstraße von einer Buslinie
erschlossen, die schon öfters aufgrund zu geringer
Fahrgastzahlen eingestellt werden sollte. Anrainerproteste haben
dies bisher verhindert.
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Eichenstraße |
Wird von der
Straßenbahnlinie 62 und der Badner Bahn benützt.
Das Streckenstück wurde bis 1995 regulär von der
Straßenbahnlinie 64 befahren. |
Schleife Murlingengasse |
Wird für Kurzführungen der Linie 62
verwendet. Die Schleife wurde bis 1995 regulär
von der
Straßenbahnlinie 64 befahren. |
|