Wien
ist mit ca. 1,68 Mio. Einwohnern die größte Stadt Österreichs
und gleichzeitig eines der neun Bundesländer der Republik. Sie
verfügt mit (derzeit) 179km Streckenlänge über das viertgrößte Tramnetz
der Welt (nach St. Petersburg, Melbourne und Berlin).
1865 wurde
die erste private Straßenbahnstrecke (Schottentor - Hernals) in Wien eröffnet.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war das stetig wachsende Netz städtisch geworden
und erreichte in der Zwischenkriegszeit seinen Zenit mit über 290km
Streckenlänge.
Knapp
über hundert Jahre später
erfolgte 1968 der Spatenstich für das ursprünglich 26km, später 30km
lange Grundnetz der U-Bahn, bestehend aus der völlig neu gebauten U1, aus der
U2, die durch beiderseitige Verlängerung des Straßenbahntunnels unterhalb der
"Zweierlinie" (paralleler Straßenzug in unmittelbarer Nähe zur Ringstraße)
zusammengebastelt wurde, ohne Rücksicht auf den öffentlichen Oberflächenverkehr
zu nehmen, und die U4, die aus Teilen der Stadtbahn entstand. Inzwischen ist das
U-Bahnnetz auf ca. 70km angewachsen.
Mit dem Slogan "Wien ist anders" macht die Stadt weltweit Werbung für sich. Im
negativen Sinne trifft das auf die Verkehrspolitik zu. Noch immer ist die U-Bahn
in Wien das "Allheilmittel" für alle Verkehrsprobleme. Weltmeisterlich sind nur
die Planungen zu neuen U-Bahnstrecken (u. a. gibt es bis heute keine U5, wohl
aber eine U6).
Dennoch gibt es nach den letzten
Streckenstilllegungen bei der Straßenbahn (Linie 21 über Praterstern und
Ernst-Happel-Stadion 2008 und Linie 25 Richtung Leopoldau 2006) Anzeichen
einer Abkehr dieses Prinzips. Sei es die Umstrukturierung der Ringlinien
(Verknüpfung von Radial- und Ringlinien zu Durchgangslinien) im Oktober 2008
oder der geplante Neubau von Straßenbahnstrecken in "Transdanubien" (21. und 22.
Bezirk) in den nächsten Jahren.
Wer mit der Wiener U-Bahn schon einmal gefahren ist, wird ihre Zuverlässigkeit und
Sauberkeit schätzen, vergisst jedoch darauf oder weis meistens nicht, dass bevor
es die teure U-Bahnstrecke gab, in den meisten Fällen die parallel dazu existierende
günstigere
Straßenbahnstrecke wesentlich kürzere Zugangswege zu bieten hatte und auch
kürzere Haltestellenabstände aufwies. Auch das kategorische "Njet" zu
Straßenbahnstrecken in Fußgängerzonen wird in Wien bis heute von offizieller
Seite "gepredigt". Eine Vorstellung, die in Linz, Graz, Innsbruck, aber auch
international unvorstellbar wäre und auch zu einem Geschäftssterben in den
betreffenden Straßenzügen führen würde, so wie es das in der Vergangenheit in
früheren Einkaufsstraßen in Wien auch gegeben hat.
Das
ungeliebte Kind des Wiener ÖPNV ist seit Jahrzehnten die Straßenbahn. Fehlende
Bevorrangung an Kreuzungen; sträflich vernachlässigte Investitionen in den Fuhrpark
in den letzten Dekaden, trotz ULF (= weltweit einzigartige
Niederflurgarnituren); keine Zweirichtungsfahrzeuge um zeitgemäßes
Störungsmanagement betreiben zu können; unflexible Streckenführungen, weil
Ausweichstrecken dem "Auto- und U-Bahnrausch" der vergangenen Jahrzehnte geopfert
wurden (z. B. Zweierlinie, Linie 13).... Die Liste ließe sich weiter fortsetzen
und soll aufzeigen, dass die modernen Nutzungsmöglichkeiten der Straßenbahn bei einem
(noch) so großen Netz, wie es das in Wien gibt, nicht genutzt werden wollen und
können (Lobbies), um dem Fahrgast ja keinen objektiven, als auch subjektiven
Vergleich auf gleichem Niveau der Systeme Straßenbahn zu U-Bahn zu ermöglichen.
In
der Straßenbahn liegt die Zukunft zur hochleistungsfähigen Feinerschließung von
Gebieten ergänzend zur U-Bahn, aber insbesondere in Gegenden wo sich eine U-Bahn
volkswirtschaftlich nicht rechnet und dennoch sündhaft teure (unterirdische)
U-Bahnstrecken (z. B. U2 nach Stadlau, geplante U1 nach Oberlaa) gebaut
werden - auch wenn diese weltweite Botschaft in Wien noch nicht angekommen ist.
Steve Stipsits
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